News des Jahres 2022

Nachruf

Der Mediävistenverband trauert um sein Ehrenmitglied Prof. Dr. Ursula Schaefer, die am 7. Juni 2022 in Freiburg verstarb. Ursula Schaefer studierte ab 1966 in an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg die Fächer Anglistik, Germanistik und Politische Wissenschaften und war nach Ablegung ihres Staatsexamens (1971) für mehr als zwei Jahrzehnte Wissenschaftliche Angestellte am Englischen Seminar. 1976 promovierte sie zu einem Thema in der mediävistischen Literaturwissenschaft (Höfisch-ritterliche Dichtung und sozialhistorische Realität: Literatursoziologische Studien zum Verhältnis von Adelsstruktur, Ritterideal und Dichtung bei Geoffrey Chaucer, publiziert 1977). In ihrer Lehre, und zunehmend auch in ihrer Forschung, deckte sie in der Folge ebenfalls breite Bereiche der diachronen und synchronen englischen Sprachwissenschaft ab. Generationen von Studierenden respektierten ihren unbestechlichen Sinn für wissenschaftliche Qualität, profitierten von ihrer außerordentlichen didaktischen Begabung und schätzten sie für ihre Zugewandtheit. Trotz ihrer enormen Lehrbelastung, die sie allerdings nie als solche empfand, publizierte sie in dieser Zeit regelmäßig, unter anderem gemeinsam mit Lilo Moessner eine erfolgreiche Einführung ins Mittelenglische (Proseminar Mittelenglisch: Lehrbuch mit Texten, Grammatik und Übungen, 1974, 2. Auflage 1987). 1989 habilitierte sie sich mit einer Studie zu Vokalität: Altenglische Dichtung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit (publiziert 2002). Zu ihren wichtigsten akademischen Lehrern in Freiburg zählten Willi Erzgräber und Herbert Pilch, deren Impulse sie aufnahm und in intellektueller Eigenständigkeit weiterentwickelte. Einen weiteren prägenden Einfluss stellte der Sonderforschungsbereich 321 „Übergange und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ dar, im Rahmen dessen ihre Habilitation entstand. Die interdisziplinäre Offenheit und kooperative Forschungskultur dieses Verbundes kamen ihrem Temperament entgegen und waren auch die Leitmotive in ihrem Engagement im Mediävistenverband. 1991 wurde sie als Fachvertreterin in den Beirat des Mediävistenverbandes gewählt, wo sie bis 1995 auch das Pressereferat betreute.

1993 folgte sie einem Ruf auf eine Professur für Ältere Englische Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin und stieg 1995 als Vertreterin des nächsten Tagungsorts in das Präsidium des Mediävistenverbandes auf, dem sie danach von 1997 bis 2003 weiterhin als Schatzmeisterin angehörte. Zusammen mit Wilhelm G. Busse erhielt sie 2003 die Ehrenmitgliedschaft für ihre Verdienste und ihren Einsatz für den Mediävistenverband. In der Zwischenzeit hatte Ursula Schaefer 1999 auf einen Lehrstuhl für Englische Sprachwissenschaft an der Technischen Universität Dresden gewechselt. In dieser Zeit festigte sie ihre wissenschaftliche Reputation als eine international führende anglistische Mediävistin. In zahlreichen ihrer Schriften zeigte sie darüber hinaus, wie moderne Ansätze in der Erforschung von Sprachideologien für die Mediävistik nutzbar gemacht werden können, umgekehrt aber auch, wie die gegenwartsbezogene Forschung zu diesen Themen von der Beschäftigung mit dem Mittelalter profitieren kann. Sowohl in Berlin wie auch in Dresden war sie in führender Position in der Hochschulleitung tätig.

Nach ihrer Pensionierung im Jahr 2013 kehrte sie nach Freiburg zurück, wo sie sich in alter Verbundenheit in das Seminar- und Universitätsleben einbrachte. Ihre Lehrveranstaltungen – zu Sprache, Kultur und Literatur der altenglischen Epoche, aber auch zu Sprachideologien der jüngeren Zeit – ergänzten das Lehrprogramm des Seminars und fanden stets regen Anklang bei den Studierenden. In Würdigung ihrer wissenschaftlichen Leistungen und des speziellen Engagements für das Englische Seminar und für die Universität Freiburg ernannte sie der Rektor im Jahr 2017 zur Honorarprofessorin. Im Sommer 2021 konnte sie im informellen Kontext ihr hundertstes Semester als akademische Lehrerin begehen. Auch dem Mediävistenverband blieb sie nach ihrer Emeritierung freundschaftlich verbunden und war seit 2015 bis zu ihrem Ableben als Kassenprüferin tätig. Wir alle werden sie als international anerkannte Wissenschaftlerin und als engagierte und herzliche Kollegin in bester Erinnerung behalten.